Ein Paradebeispiel

Der Fall Dominik ist ein Paradebeispiel wie involvierte Akteure in Asylverfahren eingreifen und den Verfahrensausgang beeinflussen. Wir möchten mit diesem exemplarischen Beispiel aufzeigen, wie Asylverfahren manipuliert und gesteuert werden können.

Dabei ist es egal, ob es sich um Referent*innen des BfA, Richter*innen des BVwG, Amtsärzt*innen, Gutachter*innen oder Botschaftspersonal handelt.

Wenn das BfA in einem Bescheid den Satz „Sie sind arbeitsfähig“ aus der Textvorlage einfach streicht und nicht in „Sie sind NICHT arbeitsfähig“ abändert, so liegt dieser Löschung ein subjektiver Wunsch zur Abschiebung zugrunde. Wenn ein Richter einen Folgeantrag wegen einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes, einer Behinderung und Suizidgedanken „aus dem Akt heraus – ohne Verhandlung und persönlicher Einvernahme“ entscheidet, dann wird das Versprechen eines fairen Asylverfahrens gebrochen.

Man hat das Gefühl, dass persönliche Interessen Vorrang vor objektiven Maßstäben haben.

Aber auch Agierende am Rande der Verfahren haben Einfluss. Wie kann ein Amtsarzt eine Schubhaft- und Abschiebefähigkeit einer Person feststellen, die unter einer Behinderung und unter Depressionen und Suizidgedanken leidet, ohne den Patienten je gesehen zu haben? Botschaftsmitarbeiter sind Teil des österreichischen Asylverfahrens. Auch wenn sie die Interessen ihres Staates vorrangig zu vertreten haben, so gilt es auch die Rechte der Asylwerber:innen in Österreich zu respektieren und nach diesen Gesetzen zu handeln.

Rechtsstaat entsteht an vielen Stellen. Es ist kein Gut, das wir starr aus dem Gesetzestext übernehmen können. Die Art der Anwendung bringt es erst in Form und macht es zum Rechtsstaat – oder eben nicht.

Der Fall Dominik ist deswegen ein Paradebeispiel, da an fast jeder Stelle seines Verfahrens das „Glück“ gegen ihn war. Hier zusammengefasst das Asylverfahren von Dominik

Kurz nach seiner Ankunft in Österreich wurde Dominik von einem Auto angefahren und ist seitdem stark gehbehindert. Der Autolenker hat Fahrerflucht begangen und konnte bis heute von der Polizei nicht ausgeforscht werden. Dominik leidet neben seiner Behinderung auch an starken Schmerzen, die er mit Dauermedikation unter Kontrolle hält. Außerdem leidet Dominik her unter Depressionen und eingehend mit diesen Depressionen unter Suizidgedanken. Der negative Ausgang seines Asylverfahren und die fragwürdige Art der Verfahrensführung trugen massiv zu einer Verschlechterung seiner psychischen Verfassung bei.

Kein Wunder, wenn man sich sein Asylverfahren näher betrachtet.

Dominik wurde in seinem Asylverfahren vom Verein Menschenrechte Österreich vertreten. Es ist müßig über die Qualität der Vertretung zu diskutieren. Was aber auffällt ist, dass sein Gesundheitszustand weder vor dem BfA noch vor dem BVwG realistisch dargestellt wurde. Nur wenige Befunde wurden den Behörden vorgelegt. Die Johannes Kepler Klinik in Linz hat uns im Frühjahr 2021 noch stoßweise Befunde, Arztbriefe und Diagnosen überreicht, die vom VMÖ nie vorgelegt wurden. Das BVwG kommt dementsprechend zu folgenden Schlussfolgerungen (I414 2197421-1):

 „Der Beschwerdeführer leidet weder an einer lebensbedrohlichen Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. Sein Gesundheitszustand steht seiner Rückkehr nicht entgegen.”

Nur zur Klärung: Dominik hatte:

  • Schwerstes Brustkorbtrauma mit Rippenserienfraktur beidseits
  • Pneumothorax beidseits
  • Mutliple Frakturen der Rippenfortsätze im BWK-Bereich
  • Multiple Frakturen der Quer- und Dornfortsätze im LWS-Bereich
  • Instabile discoligamentäre Verletzung Segment L4/L5 (Zerrissene Bandscheiben)
  • Schwere Lungenkontusionen beidseits

Zusammengefasst hat Dominik multiple Frakturen im Brustkorb und LWS-Bereich erlitten, war über 6 Monate stationär im Spital und hat mehrere Operationen hinter sich. Dominik war bei der BVwG-Verhandlung anwesend und musste mit Krücken vor dem Richter. Dennoch wurde in dem Erkenntnis festgehalten:

Im Zuge des Verfahrens legte der Beschwerdeführer eine Reihe von medizinischen Unterlagen vor, aus denen im Wesentlichen hervorgeht (Entlassungsbericht der Kepler Universität vom 21.10.2016, AS 233 ff), dass der Beschwerdeführer aufgrund eines Fahrradunfalles [sic] am 19.09.2016 in das Universitätsklinikum eingeliefert wurde und am 21.10.2016 in stabilem, insgesamt gebessertem Allgemeinzustand wieder entlassen wurde. Zur Mobilisierung wurde eine körperliche Schonung für weitere 3 Wochen empfohlen, ansonsten sei eine Belastung der Wirbelsäule bis zur Schmerzgrenze erlaubt.”

Wenige Wochen nach dem negativen Erkenntnis hat Dominik einen Folgeantrag eingebracht. Ihm war bewusst, dass eine Abschiebung in seinem Zustand eine katastrophale Zukunft bedeuten würde. Er war erschüttert, dass sein Gesundheitszustand so falsch dargestellt wurde. Dementsprechend hat er den Folgeantrag mit seinem psychischen und physischen Gesundheitszustand argumentiert.

Neben seinen physischen Problemen wurde natürlich seine extreme Angst vor einer Abschiebung immer größer. Wegen Suizidgefahr wurde er deshalb am 02.08.2018 aus dem EAST-West ins Spital eingewiesen und am nächsten Tag wieder entlassen. Die eintägige Spitalsbehandlung dürfte nur wenig Erfolg gezeigt haben, da er am 04.08.2018 die Nahrungsaufnahme verweigert hat und in Hungerstreik getreten ist, woraufhin er abermals ins Spital eingeliefert wurde.

Der Folgeantrag wurde vom BfA negativ beschieden und es wurde eine Beschwerde beim BVwG (I417 2197421-2) eingebracht. Der Richter in Innsbruck hat ohne Verhandlung – also ohne Dominik je gesehen zu haben – die Beschwerde zurückgewiesen! Abermals wurden nur wenige Befunde, Arztbriefe, Diagnosen usw. vom VMÖ vorgelegt. Im Erkenntnis des Folgeantrags ist u.a. zu lesen:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, ledig, Staatsbürger von Nigeria, bekennt sich zum christlichen Glauben und ist Angehöriger der Volksgruppe der Ibo. Er hält sich seit (mindestens) 06.08.2016 in Österreich auf. Die Identität des Beschwerdeführers nicht steht fest.

Und weiter:

Der Beschwerdeführer leidet nicht an schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstünden. Er leidet allerdings nach einem Fahrradunfall im September 2016 an Schmerzen, insbesondere im linken Bein. Die erforderlichen Medikamente sind in Nigeria erhältlich. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers hat sich im gegenständlichen zweiten Asylverfahren gegenüber dem ersten Verfahren nicht verändert.“

Nachdem auch dieser Antrag erfolglos war, hat Dominik einen Antrag auf Duldung gestellt. Sein psychischer Zustand hat sich in der Zwischenzeit verschlechtert. Phasen der Depression haben sich mit Suizidgedanken abgelöst. Seine physische Behinderung hat sich kaum geändert und er muss auch weiterhin permanent schmerzlindernde Medikamente zu sich nehmen.

Der Antrag auf Duldung wurde abgewiesen. Unter den Feststellungen findet sich der Mantra-artige Absatz:

  • Ihre Identität steht nicht fest
  • Sie sind volljährig
  • Sie sind gesund und leiden an keiner lebensbedrohlichen Krankheit
  • Sie sind unbescholten

Nachdem der Antrag auf Duldung abgelehnt wurde, begann das BfA mit den Vorbereitungen zur Abschiebung. Ein Termin zur Identitätsfeststellung und Mitwirkung zum Heimreisezertifikat (HRZ) wurde verschickt. Das war bereits der zweite Termin vor Mitarbeitern der nigerianischen Botschaft und bei beiden Terminen wurde kein Heimreiszertifikat ausgestellt. Beim ersten Termin war sein offenes Duldungsverfahren der Grund für die Verweigerung. Beim zweiten Termin wurden allerdings ebenfalls keine Reisedokumente von der Botschaft ausgestellt. 

Eineinhalb Jahre vergingen und Dominik hat sich als Behinderter ohne Krankenversicherung und Grundversorgung durchgeschlagen. Er verkaufte Zeitungen und hat ein Netzwerk an Freunden, Bekannten und Unterstützer*innen gefunden. Sein Leben war aber auch weiterhin überschattet von der ungewissen Situation seines Aufenthalts und seiner Zukunft.

Im Frühjahr war der nächste Termin vor den Mitarbeitern der Botschaft. Fairness-asyl hat Dominik zu diesem Termin begleitet. Nach einem langen Gespräch mit dem Botschaftsmitarbeiter wurden wir aufgefordert, ein Gutachten zu seiner Behinderung vorzulegen. „Wenn Dominik tatsächlich behindert ist, so werde die Botschaft keine Reisedokument ausstellen“ so die Vereinbarung.

Innerhalb weniger Wochen haben wir zwei Gutachten erstellen lassen. Ein gerichtlich beeideter Sachverständiger hat eine 50%ige Behinderung attestiert. Ein psychologischer Gutachter hat eine starke Traumatisierung durch den Unfall bescheinigt und empfohl eine stationäre Aufnahme aufgrund seiner labilen Verfassung..

Wir haben dann versucht diese Gutachten dem Botschaftsmitarbeiter vorzulegen. Kein leichtes Unterfangen! Telefonanrufe blieben genauso unbeantwortet wie Emails. Kein Ansprechpartner, kein Name eins zuständigen Konsulatmitarbeiters, keine Telefonnummer, keine E-Mail Adresse – nichts. Eine Vorsprache bei der Botschaft selbst hat nur dazu geführt, dass wir die Unterlagen beim Portier deponieren durften. Mehr ging nicht.

In der Zwischenzeit wurde Dominik in Haft genommen, da er ja illegal in Österreich aufhältig war und eine diesbezügliche Verwaltungsstrafe von mehreren tausend Euro nicht bezahlen konnte. Gleich nach der Inhaftnahme ist es ihm psychisch so schlecht gegangen, dass die Amtsärztin ihn zur Abklärung auf die psychiatrische Abteilung der Johannes Kepler Universitätsklink geschickt hat. Angesichts der dramatischen Verschlechterung seines psychischen Zustandes haben seine Unterstützer*innen die Verwaltungsstrafe bezahlt und er wurde nach einigen Tagen wieder freigelassen. Die Haft war für ihn dermaßen retraumatisierend, dass er am nächsten Tag stationär auf der geschlossenen Neuromed Abteilung von der Johannes Kepler Universitätsklink wieder stationär aufgenommen wurde. Nach über einer Woche Aufenthalt hat das BFA sich auf der Krankenstation gemeldet und sich nach dem Entlassungstermin erkundigt und ihm ausrichten lassen, dass sie ihn bei der Entlassung „begleiten“ würden.

Wir haben vorab das BFA telefonisch und schriftlich von der Aufnahme im Spital unterrichtet, da in der Zwischenzeit der nächste Termin bzgl. Mitwirkung der Ausstellung der Heimreiszertifikate eingelangt ist.

Die Ladungsbescheide des BFA zur Mitwirkung der Ausreisedokumente verschleiern die Wahrheit. Deshalb haben wir uns entschlossen eine Stellungnahme abzugeben, um die Unrichtigkeiten in dem Akt zu dokumentieren.ntieren.

  • Dominik hätte während eines Botschaftstermins am 11.03.2021 bereits Arztberichte vorgelegt.
    Hat er nicht!
  • Der Konsul hätte bei dem Termin eine Frist von 2 Wochen für die Beschaffung der Gutachten gegeben.
    Hat er nicht! Seine Anweisung war folgendermaßen formuliert: „If you can bring me an official document proofing his disability, I will not sign the deportation travel documents.”
  • Dominik wird vorgeworfen, er habe sich in ein Spital „begeben“, um den Botschaftstermin nicht wahrzunehmen.
    Hat er nicht! Das medizinische Personal hat ihn in der geschlossen Abteilung wegen akuter Suizidgefahr aufgenommen.
  • Dominik wird vorgehalten aus dem Spital „entwichen“ zu sein.
    Ist er! Auf Anraten von Spitalsmitarbeitern hat er die Klinik freiwillig verlassen.

Im Juni gab es dann den fünften BFA Termin vor den Mitarbeitern der Botschaft. Diesmal im Beisein einer Juristin der Kanzlei Dr. Schmaus. Der Botschaftsmitarbeiter hat moniert, dass die Gutachten keine amtsärztlichen Gutachten seien. Die Rechtsvertretung hat darauf verwiesen, dass man als Privatperson keine Amtsärzte beauftragen könne. Daraufhin wurde vereinbart, dass ein Amtsarzt den Grad der Behinderung feststellen soll.

Die nächste Ladung (Nummer sechs) zum BFA-Termin kam überraschend, da es keinen Amtsarzttermin gegeben hatte. Diesmal wurde Dominik von einer Mitarbeiterin der Kanzlei Schmaus begleitet. Zur großen Überraschung wurde mitgeteilt, dass Dominik schubhaft- und abschiebfähig sei. Der Amtsarzt hätte das aus den Akten feststellen können und deswegen war eine persönliche Untersuchung nicht notwendig. Die Proteste der Rechtsvertreterin blieben ungehört und sie und Dominik wurden de-facto aus dem Termin vom Botschaftspersonal hinausgeworfen.

Ein Antrag auf Akteneinsicht wurde gestellt, um herauszufinden welchen Auftrag der Amtsarzt eigentlich hatte und ob die gesamten medizinischen Dokumente zur Verfügung gestellt wurden. Bevor es aber einen Termin zur Akteneinsicht gab, wurde Dominik bereits in Schubhaft genommen. Es überrascht nicht, dass diese Extremsituation seinen psychischen Zustand weiter strapaziert hat und er nur wenige Stunden nach der Inhaftnahme in der Neuromed Abteilung der Johannes Kepler Klinik stationär aufgenommen wurde.

Wir wissen nicht, wie es mit Dominik weitergehen wird. Aber wir werden ihn weiterhin unterstützen und versuchen das bisschen Glück für ihn zu finden, das sich bisher in seinem Leben nur selten gezeigt hat.

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