Im Dezember 2018 ließ LR Waldhäusl in einem entlegenen Dorf in NÖ 16 Jugendlichen hinter Stacheldraht, ohne Kontakt zur Außenwelt und bewacht von Security einsperren. Sie sollten dort „geparkt“ werden, bis sie 18 sind und abgeschoben werden können. Damit wären sie einfach verschwunden und von ihrem Schicksal hätte niemand erfahren.
Den engagierten Flüchtlingshelfern Doro Blancke und Alfred Collman ist es zu verdanken, dass diese Schande schnell aufdeckt wurde, die Jungs aus diesem Lager befreit wurden und mit Hilfe der Caritas im Flüchtlingsheim St.Gabriel untergebracht wurden. Was es für einen 15-,16- oder 17jährigen bedeutet, von einem Tag auf den anderen eingesperrt zu werden, mit weniger Rechten als in einem Gefängnis, kann man sich kaum vorstellen.
Der Alptraum war vorerst vorbei, in St.Gabriel fand sich bald eine engagierte Gruppe von freiwilligen Helfern, zusammen mit den Betreuern der Caritas konnten die Jungs ein wenig zur Ruhe kommen. Besonders Doro wurde schnell für einige zur „Mama“. Nachhilfe, Schule, regelmäßige gemeinsames Kochen brachten Stabilität und eine neue Gemeinschaft.
Dieser Frieden währte nicht lange, G.Waldhäusl ließ noch im Jänner diejenigen, die am 1.Jänner 18 Jahre alt wurden in einer unangekündigten Aktion in Erwachsenenunterkünfte verlegen. Die Angst bei den Verbliebenen stieg.
Mit Recht. Die Nachricht von ihrer Verlegung und der Schließung von St.Gabriel ließ einige vollkommen zusammenbrechen. Ein 16jähriger Junge musste stationär in der Kinder-und Jugendpsychiatrie aufgenommen werden, die anderen wurden ambulant betreut. Die Tatsache der Gefährdung des Kindeswohls wurde festgestellt. Das hinderte Waldhäusl nicht, diese Jugendlichen, die bereits 8, 9 oder sogar 10-mal in NÖ ihr Zuhause verloren hatten, neuerlich zu entwurzeln, Beziehungen zu kappen und Sicherheit zu nehmen. Das einzige Zugeständnis war, dass die Mödlinger BH die Wünsche der Jugendlichen berücksichtige soweit es möglich war und alle im Bezirk Mödling unterbrachte. Dafür Dank an Mödling!
Jetzt hieß es den Jungs beizustehen, sie nicht aus den Augen zu verlieren und sie aufzufangen.
O. sagt: “Wir sind wie Bälle, die man hin- und her schießt. Wo bin ich in 2 Wochen, in 2 Monaten?“
Gemeinsames Kochen und Essen bei mir, 6,7 Burschen, Betreuerinnen, FreundInnen sitzen am Tisch. Jeder erzählt wie „sein“ Heim ist, wie es ihm geht. Schnell stellt sich heraus, einige habens ganz gut getroffen, andere weniger, doch alle beginnen bei Null, wieder einmal, zum wievielten Mal zählen sie gar nicht mehr. Vertrauen zu anderen? Eine Beziehung aufbauen? Wozu? „ Ich muss eh wieder weg.“
S. wünscht sich ein Fahrrad. Dank einer Spenderin kann ich ihm ein tolles Rad nach Biedermannsdorf bringen. Eine Selbstverständlichkeit für unsere Kinder, für ihn ein unglaubliches Geschenk. Er ist zufrieden dort wo er wohnt, geht gern in die Schule, er fühlt sich umsorgt von uns allen, v.a. von seiner Patin, zum ersten Mal seit langem.
O. wohnt in Mödling. Er hat Probleme sich zu orientieren, ein Fluchttrauma. Ich fahre mit ihm zum Fitnessclub, zeige ihm den Weg dahin, rede ihm zu in die Schule zu gehen, eine Freundin hilft in Mathe. „Ich mach das nur für dich“ sagt er.
F. hat weniger Glück. Er ist 18 und muss in ein Erwachsenenquartier. F. arbeitet im Schichtdienst. Sein Mitbewohner lässt ihn nicht schlafen, er findet keine Ruhe. Die Lage ist unerträglich. F. hält es dort nicht aus. Er findet Vertrauen zu mir, geht bei uns ein und aus, kann sich ausruhen, große und kleine Sorgen werden besprochen. Ich begleite ihn zu Terminen, ein bisschen Alltag, den jeder 18jährige in Österreich selbstverständlich genießt. Aus einem zornigen verzweifelten Busche wird schön langsam ein verantwortungsvoller junger Mann, der sein Leben in die Hand nimmt. Ob er bleiben kann weiß er nicht, sein subsidiärer Schutz wurde aberkannt, damit zu leben ist eine furchtbare Belastung, die Narben auf den Unterarmen sprechen eine deutliche Sprache.
Im März die Verhandlung von O. beim Bvwg. Negativ, keine Chance mehr. O. ist 17, er ist Leistungssportler und wollte für Ö Medaillen holen, er wollte arbeiten, jetzt weiß er nicht mehr weiter, hat Panikattacken und kann nicht schlafen.
Auch S. ist erst 17, es schaut schlecht für ihn aus, er kann sich nicht mehr konzentrieren, er weint und erzählt mir er schafft es nicht mehr in die Schule, in die er gerne ging. Doch ein Anwalt stellt einen neuen Antrag, S. fasst wieder Mut und ich melde ihn für eine Sprachprüfung an.
M. schreibt mir:“ Kannst du mich bitte beim Fußballklub anmelden“. Wir fahren zum Probetraining. Ein paar Tage später zeigt er mir die Ladung zum BFA und die Angst ist da.
F. und M. wollen beide aus ihren Unterkünften, wir suchen lange, niemand vermietet eine Wohnung an zwei afghanische junge Männer. Warum eigentlich nicht? Die Antwort darauf ist ein Querschnitt aus Ablehnungen und Vorurteilen, ich hätte es den Jungs gern erspart. F sagt, keiner will uns. Wir finden schließlich tatsächlich eine Mietwohnung und machen daraus mit Hilfe vieler Helfer und Spender ein Zuhause. Die Zukunft der beiden aber ist mehr als ungewiss. Wir pendeln zwischen Hoffnung, Angst, Vorbereitungsgesprächen, Gerichtsterminen, Alltagssorgen und dem Versuch, ihnen zu vermitteln, dass sie wertvolle liebenswerte Menschen sind.
Die Momentaufnahmen dieser Schicksale stehen für viele Jugendliche, die hier bei uns Schutz suchen. Drasenhofen war ein besonders grausamer Höhepunkt der Niedertracht.
Wann dürfen diese jungen Menschen endlich ankommen, endlich zur Ruhe kommen?
Drasenhofen ist vorbei, der Stacheldraht der österreichischen Asylpolitik bleibt.
Mein Name ist Jutta Lang, ich schreibe diesen Bericht auch im Namen der vielen ehrenamtlich Engagierten, die diese unmenschlichen Politik nicht hinnehmen wollen.
(Mödling, Juni 2019)