AFG<>sicher # 1 Mazar.e.Sharif

Im Bericht der Staatendokumentation zur Lage in Mazar-e-Sharif vom Q4/2018 ist auf Seite 1 zu lesen:

Mazar-e Sharif ist eines der größten Handels- und Finanzzentren Afghanistans, das auch als das „de facto politische, wirtschaftliche und administrative Zentrum Nordafghanistans bezeichnet wird. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.“

Cool! Dieser Satz erweckt den Eindruck, dass Mazar-e-Sharif auf eine rosige Zukunft hoffen kann. Der Satz wird auch recht häufig in den Erkenntnissen des BVwG verwendet. Folgende Suchanfrage in der RIS-Datenbank sucht nach Erkenntnissen des BVwG in denen das Wort „Mazar“ und „Dienstleistungsbereich wächst“ vorkommt. Es gibt derzeit stolze 702 Treffer.

Auf Seite 2 des selben Berichts findet sich allerdings folgender Satz:

Nur etwa 15 % der Einwohner von Mazar-e Sharif leben oberhalb der Armutsgrenze.

Vielleicht doch nicht so rosig? Vielleicht sind aber auch nur die 15% der Bevölkerung, die oberhalb der Armutsgrenze leben, Nutznießer des angeblichen Aufschwungs.
(Es fällt übrigens auch auf, dass der Satz über die 15% nur 5-Mal in der Suche im RIS vorkommt!)

Der Bericht der Staatendokumentation über die wirtschaftliche Lage in Mazar-e-Sharif geht allerdings weiter:

Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 hat Mazar-e Sharif von allen fünf Großstädten den größten Anteil an Einkommensverdienern, die nur ein unregelmäßiges Leben führen. Bei der Definition von Armut als Anteil der Haushalte, die mehr als 60 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, sticht Mazar-e Sharif hervor. Über die Hälfte der Bevölkerung gibt mehr als 60 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus, vermutlich, weil es in Mazar-e Sharif teurer ist. Die Haushalte in Mazar-e Sharif meldeten auch die geringste Ernährungsvielfalt.

Aus dem Länderinformationsblatt Afghanistan vom Juni 2018 der Staatendokumentation ist auf Seite 342 zu entnehmen:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016)

Sehr viel Raum nach unten ist da nicht! Doch dass sich die Situation nicht verbessert hat, bestätigt der Bericht der Staatendokumentation zur Versorgungslage in Herat, auf Seite 18 ist zu lesen:

Die afghanische Kammer für Wirtschaft und Industrie (Afghanistan Chamber of Commerce & Industry (ACCI)) berichtet in ihrem Business Tendency Survey Report für das 3. Quartal 2018, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen für Unternehmen in den vergangenen drei Monaten verschlechtert haben und auch der Ausblick für die kommenden sechs Monate negativ ist. Sicherheit bleibt der bedeutsamste Faktor für wirtschaftliche Entwicklung, gefolgt von Märkten und Nachfrage, sowie Verwaltungsreformen, Verbesserungen der Infrastruktur und dem Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten. Die befragten Unternehmer gaben an, dass sie in den vergangenen drei Monaten mehr Personen entlassen als eingestellt haben. Unternehmen im Bereich der Landwirtschaft und verarbeitenden Industrie gehen allerdings davon aus, dass sie in den kommenden sechs Monaten wieder vermehrt Arbeitskräfte einstellen werden.

Auch im EASO Bericht aus dem Jahr 2017 wird auf Seite 30 das wirtschaftliche Wachstum der Stadt Mazar-e-Sharif in Frage gestellt. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Wirtschaft in Mazar-e-Sharif durch den relativ friedvollen Übergang im Jahr 2004 (vor 15 Jahren) ein großes Wachstum verzeichnen konnte. Es beschreibt aber auch den Niedergang seit 2013, vor allem durch den Abzug der internationalen Streitkräfte.

Mazar-e Sharif’s booming urban economy has provided a source of non-agricultural income for many households but that has been in visible decline since about 2013. This is attributed to a combination of factors, mainly the reduction in international financial flows which has curtailed employment on military bases and in construction. For example, an estimated 7,000 people lost their jobs due to the closure of two military bases in and around Mazar-e Sharif. Here too, the uncertainty due to the political instability in the National Unity Government has affected the economy of Mazar-e Sharif. Businessmen adopted a wait-and-see attitude (210). The business climate in the province Balkh has been largely negative since the second half of 2015, mainly due to ‘security’ factors.

Der EASO Bericht geht weiter, Seite 31:

While there are no formal economic statistics available, there were, according to analyst Paul Fishstein, clear indicators that construction, investment and trade were all down in Mazar-e Sharif, with casual labourers finding less work and stagnant or lower wages. Those who arrive for casual labour in Mazar-e Sharif are at a disadvantage relative to those who are better known and make better use of their networks to find work.

Und auch die Staatendokumentation bestätigt die triste Lage seit dem Abzug der Streitkräfte im Bericht über die Lage in Mazar-e-Sharif auf Seite 12.

So verloren schätzungsweise 7.000 Menschen ihren Arbeitsplatz durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif. Auch hier hat die Unsicherheit aufgrund der politischen Instabilität in der Regierung der Nationalen Einheit die Wirtschaft von Mazar-e Sharif beeinflusst. Geschäftsleute nahmen eine abwartende Haltung ein. Das Geschäftsklima in der Provinz Balkh ist seit der zweiten Jahreshälfte 2015 weitgehend negativ, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsfaktoren. Während es keine formalen Wirtschaftsstatistiken gibt, gab es laut Analyst Paul Fishstein klare Indikatoren, dass Bau, Investitionen und Handel in Mazar-e Sharif rückläufig waren, wobei Gelegenheitsarbeiter weniger Arbeit fanden und stagnierende oder niedrigere Löhne erhielten. Diejenigen, die zur Gelegenheitsarbeit nach Mazar-e Sharif kommen, sind gegenüber denjenigen benachteiligt, die bei der Arbeitssuche ihre Netzwerke besser nutzen.

Doch nicht so cool!
Vor allem dann nicht, wenn in den Erläuterungen des Gerichts auf die Informationen aus den Staatendokumentationen, UNHCR und EASO Berichten nicht umfassend eingegangen wird.

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