Ein Asylbescheid geht um die Welt

 

Wie oft hört man die Aussage „Wer kein Recht auf Schutz hat, muss abgeschoben werden“? Und  das macht ja auch Sinn, denn es gibt schon auch die Verpflichtung dem Rechtsstaat zu folgen. Auch wenn es für den einzelnen Asylwerber tragisch ist, dass Gesetz sieht nur ein Bleiberecht für Schutzbedürftige vor, und es gilt die Gesetze zu vollziehen. Es kann nicht sein, dass die Regeln des Zusammenlebens  einfach ignoriert werden, weder vom Bürger noch vom Staat. Ohne diese Grundeinstellung kann ein demokratischer Staat nicht funktionieren.

Aber was ist, wenn es der Staat ist, der die Regeln nicht mehr einhält?

Wir beobachten seit Monaten eine Behörde, die sich über diese Regeln willkürlich hinwegsetzt. Sicherlich haben nicht alle Beamte des BfA so agiert wie der jetzt suspendierte Bescheideschreiber. Aber der aktuelle Fall ist kein Einzelfall, die auf dieser Website gesammelten Textperlen belegen das.

Das BfA hat bisher argumentiert, dass es über 120.000 Bescheide in den letzten beiden Jahren verfasst hat und dass es bei Einzelfällen zu solchen Vorkommnissen kommen konnte. Aber warum hat es nichts unternommen? Im Mai 2018 wurde der Beamte in einem Artikel des Standard zum ersten Mal öffentlich bekannt. Und im August braucht es einen internationalen Aufschrei der Medien, um den Mann aus dem Verkehr zu ziehen. Wieso wurde nach Bekanntwerden der Voreingenommenheit und Inkompetenz im Mai nichts unternommen?  Dass es im Mai 2018 eine interne Untersuchung gegeben hat, ist dem Sprecher des BMI erst am 17.08.2018 in einer Presseaussendung eingefallen. Am Tag davor war davon im Ö1 Mittagsjournal und der ZIB 2 nicht davon zu hören.

Ein Sprecher des Innenministeriums hat gestern Mittag im Ö1 Mittagsjournal vom 16.08.2018 abermals die „Einzefalltheorie“ bemüht. Die exemplarischen Textperlen dieser Website sind aber ein klares Zeichen, dass es sich bei diesem Thema um keine Einzelfälle handelt, sondern dass nur die Spitze des Eisbergs sichtbar ist. Uns sind weitere Namen von Beamten bekannt, die sich in der Falschheit der Argumentationen und der Absurdität der Formulierungen hervortun.

Entweder die Qualitätssicherung des BfA ist untauglich solche Ausreißer zu erkennen und mit den nötigen Schulungen oder Umbesetzungen die Situation zu verbessern, oder das BfA duldet bewusst die rechtsstaatlich bedenklichen Arbeitsweisen einiger Beamten. Vielleicht fördert es eine solche Praxis sogar.

Das BfA geht mit seiner derzeitigen Praxis nicht nur an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit, sie überschreitet sie. Das konsequente Ignorieren der Vorwürfe von Willkür und Voreingenommenheit durch den Leiter des BfA, Mag W. Taucher, ist ein klares Bekenntnis ein solches Fehlverhalten zu dulden. Gegen bedenkliche Beamten nicht vorzugehen ist daher ein Signal, dass die Überschreitung der Grenzen erlaubt ist – dass die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt ist.

Vor meinem Engagement in der Flüchtlingshilfe hätte ich der Forderung „illegale Asylwerber“ abzuschieben zugestimmt. Mein Vertrauen in den Rechtsstaat war groß. Es ist aber in den letzten zwei Jahren zerbröckelt, da ich mit ansehen musste, wie Beamte, eine Behörde, ja ein Staat durch „illegale Verfahren“ aus schutzsuchenden Menschen „illegale Asylwerber“ machen.

Wie weiter?

Gestern wurde in der ZIB-2 bekanntgegeben, dass der Beamte suspendiert wurde. Dutzenden, vielleicht Hunderten von Menschen wurde ein faires Asylverfahren genommen, weil ein Beamter für sich einen persönlichen Auftrag gesehen hat, negative Bescheide auszustellen. Gerichtsverfahren mussten geführt werden, um die abartigen Bescheide in einer zweiten Instanz einer Prüfung zu unterziehen. Das Ansehen Österreichs als aufgeklärter Staat wurde durch den falschen Ehrgeiz des Beamten besudelt.

Wichtiger aber ist, dass es Asylwerber gibt, die durch das Verhalten des Beamten keinen Schutz in Österreich gefunden haben. Wir werden ihr Schicksal wohl nie erfahren. Aber sie werden eine Message mit in ihre Heimatländer tragen, die die Radikalisierung noch weiter steigern wird. Denn Europa hat sie tatsächlich unmenschlich behandelt.

Es reicht daher nicht aus den Mann einfach aus der Schusslinie zu ziehen und so zu tun, als ob alles damit erledigt wäre. Die Gerichte müssen sich damit auseinandersetzen, welchen Schaden er angerichtet hat und welche Strafe er zu ertragen hat. Ein Rechtsstaat hat diese Verpflichtung.

Der Fall zeigt aber auch die Notwendigkeit einer besseren Kontrolle des BfA. Die Duldung und Zustimmung der bedenklichen Praxis des Beamten zeigt uns, dass eine weitere Kontrollinstanz nötig ist. Wie diese Kontrolle aussehen soll, kann ich nicht sagen, aber eine unabhängige Kontrollinstanz ist offensichtlich zwingend nötig. Vielleicht braucht es die Volksanwaltschaft, UNHCR oder amnesty international, um die Arbeitsweise intensiver zu überprüfen. Für mich wäre die Bereitstellung aller Bescheide schon ein erster Schritt. Meine Auswertungen der BVwG Entscheidungen haben einiges ans Licht gebracht. Gerne widme ich aber auch den BfA Bescheiden einige Zeit.

Die Beamten haben derzeit die Freiheit mit fadenscheinigen Behauptungen, haarsträubenden Stereotypen und banalen Schlussfolgerungen Asylbescheide auszustellen. Sie müssen diese Bescheide aber nie persönlich vor Richtern der zweiten Instanz rechtfertigen. Eine weitere Forderung ist also, dass die Beamten zwingend bei den Beschwerdeverhandlungen anwesend sein müssen. Die zusätzlichen Kosten wären wahrscheinlich minimal im Gegensatz zu der enormen Anzahl von Beschwerden, die derzeit wegen solcher Beamten angestrengt werden müssen. Ein Beamter, der seinen Bescheid persönlich rechtfertigen müsste, würde sich wohl hüten, die derzeitigen Absurditäten einem Richter vorzutischen, vor allem wenn es Konsequenzen für den einzelnen Beamten gäbe, sollten all zu viele Beschwerden erfolgreich sein.

Die geplanten Änderungen in der Rechtsberatung für Asylwerber stehen auch angesichts des aktuellen Falles vor einem neuen Licht. In Zukunft soll die verpflichtende Rechtsberatung für Asylwerber von einer einzigen (BMI-nahen/finanzierten) Organisation durchgeführt werden. Es entsteht ein ungutes Gefühl, da das Vertrauen in dieses Ministerium, die Rechte der Schutzsuchende aufrechtzuerhalten, ohnehin verloren gegangen ist. Diese Regierung denkt in einem wirtschaftsliberalen Muster, versucht aber die Vielfalt der Rechtsberatung unter zentrale Kontrolle zu lenken. Warum wohl?

Es gibt kostbare Güter in unserer Demokratie, Rechtsstaatlichkeit ist eines davon. Lassen wir sie uns nicht wegnehmen durch irregeleitete Beamten, Behörden oder Minister.

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